Gehölzbestimmung geht auch im Winter, ist dann aber eine besondere Herausforderung! Ein Tag beim Knospen-Bestimmen in der BFW Forstlichen Ausbildungsstätte Ossiach.

Samensammlung

„Wer weiß im Winter, ob er den Frühling sehen wird? Warte nicht auf die Blüte, sondern nimm den knospenden Zweig.“ Murusaki Shikibu, japanische Schriftstellerin

In den endlos scheinenden Stunden der Genesung rund um den Jahreswechsel zwischen Operation und Therapien mit Hämostyptika und Lapisstäbchen, suche ich dringend nach Ablenkung und Zerstreuung in den unendlichen Weiten des Internets. Mit schon eckigen Augen lande ich irgendwann auf der Seite des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW). Genauer gesagt bei dessen forstlicher Ausbildungsstätte (FAST) in Ossiach am gleichnamigen Kärntner See.

Ich durchforste das Kursprogramm, wo es einiges zu entdecken gibt. Da wären die eher nüchtern klingenden Ausbildungsmodule zur „Forstlichen Staatsprüfung“ oder ein vielleicht trocken anmutendes Seminar zu „Forstrecht für Jedermann“. Ein Weiter-nach-unten-Scrollen offenbart einen sicher spannenden „Motorsägenaufbaukurs“ für die zukünftige Fichtenmopedführerin und einen Zertifikatslehrgang „Baumsteigen“, wo das professionelle Baumkraxeln vermittelt wird. Was recht spaßig klingt, hat einen ernsten Hintergrund – es geht um Sicherheit bei der Forstarbeit, denn jedes Jahr sterben viel zu viele Menschen bei der gefährlichen Arbeit im Wald. In den Kursen lernt man geeignete Techniken zur Risikoreduzierung.

Meine besondere Aufmerksamkeit aber erregt das Seminar „Knospen und Hölzer – erkennen, bestimmen, sammeln“. Dunkel kann ich mich an Aussagen meiner Exkursionskolleginnen erinnern, dass das winterliche Bäume-Bestimmen anhand von Knospen und Borke eine besondere Herausforderung sei, etwas für Spezialistinnen…

Nach sieben je einwöchigen botanischen Exkursionen weiß ich, ganz wie Sokrates, dass ich nichts weiß. Aus den zahllosen floralen Spielarten der Natur folgt die Unmöglichkeit einer umfassenden Kenntnis für die landläufige Laiin. Aber der Knospen-Kurs reizt mich. Genau die richtige Challenge für mich in der aktuellen Situation. Der Mensch wächst bekanntlich mit seinen Aufgaben. Im Handumdrehen bin ich angemeldet und die Vorfreude ist groß.

Sechs Wochen später steige ich an einem kalten Dienstagmorgen mit Hochnebel wieder einigermaßen fit in Ossiach aus dem Bus und spaziere über das weitläufige Areal der Forstschule. Menschen in signalfarbener Kleidung machen sich bereits an dicken Baumstämmen zu schaffen. In einem Seminarraum des Hauptgebäudes wartet Hans Zöscher, mit Leib und Seele Lehrer und Vermittler des BFW, auf die 8 Teilnehmenden. Er wird den Tag heute mit uns verbringen und uns mit seiner Leidenschaft für Bäume und Wald anstecken. Zunächst erfahren wir Theoretisches über das Abfallen von Laub und Nadeln, über Bäume im Winter und den Blattaustrieb. Dann werden die Besonderheiten der Baumbestimmung im Winter und die verschiedenen Merkmale von Knospen erörtert, sowie die praktischen Beispiele schwarzer und roter Holunder, Rotbuche, Bergahorn und Zitterpappel kurz betrachtet.

Jetzt geht es hinaus „ins Feld“ – wir gehen eine Runde um die Ausbildungsstätte. Von sämtlichen Bäumen und Sträuchern schneidet Hans nun kleine Aststücke für uns ab. Wir beschriften sie mit Papierstreifen und besprechen charakteristische Merkmale von insgesamt 28 Laubhölzern. Außerdem werden einzelne Äste von Nadelgehölzen mit in den Seminarraum genommen.

Nach einem üppigen Mittagessen mit Kartoffelsuppe, Kärntner Kasnudeln und Apfelkuchen beginnen wir jetzt mit dem Anlegen einer eigenen Sammlung. Zuerst sind die Nadelgehölzer an der Reihe. Wir kleben Nadeln bzw. kleine Triebe in die dafür vorgesehenen, beschrifteten Felder eines Kartonbogens und notieren Wissenswertes rund um die Nadelträger. Das geschieht noch recht übersichtlich.

Dann sind die Laubhölzer dran. Die draußen gesammelten mini-Äste zusammengeworfen auf einem Haufen ergeben durch ihre Menge und die weißen Banderolen ein ziemliches Durcheinander. So manche Beschriftung hat sich gemeinerweise gelöst und das nackte Ästchen verlangt nach einem Namen. Welche Knospenfarbe haben nun Feldahorn, Spitzahorn und Bergahorn? Wie war das mit den Knospenschuppen, welches Gehölz hat nur eine davon? Ist das jetzt ein Dorn oder doch ein Stachel? Geht die Blattnarbe rund um den Stiel oder doch nur ein bisschen? Was hat nochmal den charakteristischen Duft, wenn man mit dem Findernagel Rinde abkratzt? Und was war jetzt genau der Unterschied zwischen Grünerle, Grauerle und Schwarzerle? Zusammengewuzelte Knospen wovon riechen nach Marzipan? Und Endknospen mit Beiknospen sind nicht das gleiche wie paarige Endknospen? Hat die Kirsche als Kennzeichen eine Ringelborke und die Birne eine Würfelborke oder ist es doch umgekehrt?

Die Köpfe rauchen. Nach etwa 1 ½ Stunden hat sich das Chaos in eine geordnete Struktur verwandelt. Die Triebspitzen sind nun mit Gummiringerln auf Karton fixiert und säuberlich beschriftet. Jetzt ist alles klar. Meine Sammlung hat eine schöne Gestalt und einen beachtlichen Umfang angenommen. Das müsste man also systematisch lernen und oft wiederholen, damit man sich das alles merkt. Die Voraussetzungen wären zumindest mit dieser Sammlung geschaffen…

Es folgt das Studium der Samen und wir bekommen von einigen Bäumen Ansichtsexemplare in einem Röhrchen mit nach Hause. Sicherheitshalber beschriften wir auch diese, damit es später keine Probleme bei der Wiedererkennung gibt. Wobei die Samen im Vergleich zu den Knospen schon sehr viel unterschiedlicher ausschauen. Fasziniert betrachten wir die ganz kleinen Samenkörnchen und stellen uns die Baumriesen vor, die sie einmal werden könnten.

Hans hat noch etwas Besonderes für uns: jeder erhält eine kleine Holzsammlung. Die aus Bäumen ausgeschnittenen Keile mit Rinden- und Holzanteil sind gar nicht einfach zu erkennen. So manches Holz schaut sich zum Verwechseln ähnlich, wenn man die Borke außer Acht lässt. Auch die Poren und Markstrahlen sind von Adleraugen genau zu betrachten oder alternativ unter die Lupe zu nehmen.

Da bin ich aber schon nicht mehr ganz bei der Sache. Der Minutenzeiger der Uhr schreitet gnadenlos voran. Ich packe eilig zusammen und verabschiede mich – der Bus nach Villach kurz nach 16 Uhr soll unbedingt erreicht werden, bleibt mir nur so eine spätnächtliche Ankunft in Wien erspart. Ein Tag voller kleiner Wunder geht zu Ende.

FAZIT: Botanisieren geht sogar im Winter, man muss nur genau hinschauen!

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