Ein kalter November-Nachmittag im Sonnenschein am Friedhof der Namenlosen.

Bunte Lichtreflexe tanzen über die Gräber. Von vielen schmiedeeisernen Kreuzen baumeln Sonnenfänger und es funkelt und blitzt wohin man schaut. Liebevolle Kleinigkeiten verzieren das kalte Metall – ein buntes Armband, eine kleine Geige, ein Holzanhänger mit der Abbildung eines Monstera-Blattes, eine mini-Trompete. Vereinzelt verdecken große Mengen zärtlich arrangierter Stofftiere den Blick auf das Erdreich. Weiße, gelbe und rosafarbene Chrysanthemen schmücken beide Treppenabgänge der Kapelle und jeden einzelnen Grabhügel. Sie sind nicht etwa aus Seide oder Kunststoff, nein, es sind frische Blumen. Wir haben uns diesen Ort ganz anders vorgestellt.

Wir sind am Friedhof der Namenlosen beim Alberner Hafen am Stadtrand von Wien. Die Menschen, die hier begraben liegen, fanden ihren Tod in der Donau. Verunfallte, Mordopfer, Menschen, die ihrem Leben selbst ein Ende setzten. Eine Tafel weiß vom Hergang zu berichten: „ertrunken durch fremde Hand“. Vor dem Bau des Hafens 1939 führten ungünstige Strömungsverhältnisse dazu, dass Treibgut hier am Ufer angeschwemmt wurde. Auch Leichen. Die Toten wurden an Ort und Stelle begraben, daher befindet sich der Friedhof an genau diesem Platz. In unseren Köpfen geistert die Fantasie von einem desolaten Ort in der Abgeschiedenheit umher. Unbekannte mit aufgedunsenen Körpern und grauer Hautfarbe – das düstere Bild einer Wasserleiche. Unangenehmer Geruch. Namenlos.

Doch namenlos waren diese Menschen natürlich ganz und gar nicht. Ein Mann war unermüdlich darum bemüht, die unbekannten Schicksale aufzuklären: Josef Fuchs. Sein Name ist untrennbar mit dem Friedhof der Namenlosen verbunden. Fast sein ganzes Leben hat er auf dem Friedhof verbracht – bis zur Stilllegung 1940 als Totengräber, nach seiner Pensionierung als ehrenamtlicher Grabpfleger bis zu seinem Tod 1996. Fast alle von ihm beerdigten Personen konnten durch seine akribischen Nachforschungen identifiziert werden. Die Schilder „namenlos“ oder „unbekannt“ gibt es zwar auch an den Gräbern zu sehen, aber viele andere Kreuze tragen einen Namen, wie etwa „Sepperl“.

Der Blumenschmuck stammt von der Gedenkfeier des Fischereiverein Albern, die jährlich Anfang November stattfindet. Wir sind nur wenige Wochen später hier, an diesem Ort, der nicht vergessen wurde. Der kein Ort der rastlosen Seelen ist, wie in unserer Vorstellung. Der eisige Wind treibt uns zurück unter die Lebenden und zur Einkehr in die Knödel-Manufaktur. FAZIT: das Leben ist endlich – carpe diem!

Text: Mariakel von Rudelfi
Fotos: Markus Deutsch

One thought on “An der schönen blauen Donau”

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