Ein Spätnachmittag im Großen Palmenhaus des Wiener Schlossparks Schönbrunn
Rund um den Schönbrunner Schlosspark brauen sich finstere Wolken zusammen, Wind kommt auf. Noch scheint die Sonne und durch die Glasfenster des historischen Palmenhauses schimmert es grün in allen Schattierungen. Ein kleines Grüppchen von Freund*innen des Botanischen Gartens der Universität Wien ist auf Besuch in Schönbrunn und wird von Frau Dr. Gröschel von den Österreichischen Bundesgärten zu einer Führung erwartet. Es geht um Südafrika, Forschungsreisen, Sammelleidenschaft und um eine „alte Dame“ – wie jedes Jahr im Sommer ist das Palmenhaus für einen Monat Schauplatz einer Sonderausstellung, heuer unter dem Titel „Sammeln ohne Grenzen“.
Das vor 142 Jahren als damals größtes Glashaus der Welt von Kaiser Franz Josef I. persönlich eröffnete Konstrukt aus Eisen und Glas beherbergt eine Vielzahl an exotischen Pflanzen. Doch heute gilt unser Fokus ganz der südafrikanischen Flora und wir bestaunen den Formenreichtum der unterschiedlichsten Arten von Pelargonien und filigrane Spielarten diverser Erikagewächse.
Ohne Frage ist der Star hier die „alte Dame von Schönbrunn“: eine auf 400 bis 600 Jahre geschätzte Fockea capensis, die 1799 vom Schönbrunner Hofgartengehilfen Georg Scholl von einer Forschungsreise aus der Kap-Region nach Schönbrunn mitgebracht wurde. Sie könnte die älteste lebende Topfpflanze der Welt sein, aber ganz sicher ist das natürlich nicht. Im Palmenhaus zu sehen sind ihre „Kinder“ in einem schmucken Schaukästchen. Sie selbst glänzt aber durch Abwesenheit, wird diese besondere Rarität heute doch weit abseits in den Glashäusern beim Meidlinger Tor vor neugierigen Augen geschützt, gehegt und gepflegt. Das war nicht immer so. Für eine gewisse Zeit Ende des 19. Jahrhunderts galt sie in ihrer natürlichen Umgebung als ausgestorben. So wurde sie als „die Letzte ihrer Art“ bekannt und als solche im Jahr 1900 bei der Weltausstellung in Paris dem staunenden Publikum präsentiert. Einige Jahre später konnte aber in Südafrika ein weiteres Exemplar der Fockea capensis gefunden und sicher bestimmt werden. Eine Besonderheit blieb sie aber selbstverständlich trotzdem. Als im Februar 1945 die Glasfenster des Palmenhauses durch nahe Bombeneinschläge brachen, nahm ein bemühter Gärtner mit viel Herzblut für seine grünen Schützlinge, die Fockea mit nach Hause. Liebevoll versorgte er die „alte Dame“ über die nächsten Jahre und brachte sie zur Wiedereröffnung des sanierten Glashauses 1953 wieder zurück in die Botanischen Sammlungen.
Gebannt lauschen wir diesen Geschichten, während der Wind inzwischen dicke Regentropfen gegen die Glasscheiben peitscht und die Deckenfenster sich automatisch schließen – ein bisschen Modernität hat dann doch Einzug in der altehrwürdigen Halle gehalten.
Auch die Schattenseiten der Leidenschaft für das Sammeln von Pflanzen werden thematisiert. So entwickelte sich geradezu eine Gier nach exotischen Gewächsen und ein Wettrennen zwischen den Herrscherhäusern Europas um die außergewöhnlichsten Exemplare. Selbst vor Illegalität wurde nicht zurückgeschreckt. Als der Kaiser den Wunsch nach einer seltenen, nur am Tafelberg vorkommenden Orchidee (Disa uniflora) für seine Sammlung äußerte, wurde kurzerhand ein Student losgeschickt, die Pflanze auszugraben – und das trotz eines entsprechenden gesetzlichen Verbots! Generell benahmen sich die Sammler im kaiserlichen Auftrag gegenüber der indigenen Bevölkerung oft wie Kolonialherren und schreckten selbst vor der Haltung von Sklaven nicht zurück. Man nahm alles, was man bekommen konnte, ganz selbstverständlich und ohne zu fragen und präsentierte sich selbst überhöht und allwissend. Das oft Jahrtausende alte Wissen der indigenen Bevölkerung dagegen interessierte die Europäer damals nicht. Heute sind sich die Botanischen Sammlungen der Nordhalbkugel ihrer Verantwortung bewusst. Man scheut sich nicht mehr die kulturelle Aneignung als solche zu benennen und als Problem anzuerkennen. Restitution ist genauso ein Thema wie Namensänderungen der Pflanzen weg von den sogenannten „Entdeckern“ hin zur Aufnahme von indigenen Ausdrücken in die botanische Nomenklatur.
Noch unter dem Eindruck der dunklen Stunden der Botanik dürfen wir abschließend über die eiserne Wendeltreppe in die lichten Höhen der Galerie des Palmenhauses hinaufsteigen und die Perspektive von oben, die sonst nur den Gärtnerinnen und Gärtnern der Bundesgärten vorbehalten ist, auf das grüne Blattwerk genießen.
Nach etwa 2 Stunden treten wir wieder ins Freie. Es ist still geworden. Die letzten Zoobesucher*innen gehen Richtung Parkausgang. Die Luft ist klar und die Wolken haben sich verzogen. Was wird aus der „alten Dame von Schönbrunn“ und ihren „Kindern“ werden? Werden sie ungestört und unbehelligt von Kriegen und Krisen die nächsten Jahrhunderte überleben? Es wäre ihnen zu wünschen.
Das Palmenhaus werde ich doch direkt auf meine Liste für den nächsten Wienbesuch packen! 🙂
Und ich hoffe natürlich auch, dass nie wieder bemühte Gärtner:innen die alte Dame bei sich zuhause aufnehmen und pflegen müssen.