Während es die Vögel im Herbst in den Süden zieht, geht meine Zugreise in den Norden weiter, auf der Suche nach der Antwort auf die Frage: Wie hoch muss ich in den Norden, bis es keine Wespen mehr gibt?”. Mit meinem Interrail-Ticket habe ich die Flexibilität, ohne Reservierung in den ersten Zug einzusteigen, der nach meinem gemütlichen Frühstück von Bratislava in Richtung meines nächsten Ziels abfährt. Ganz so stressfrei ist das Zugfahren wohlgemerkt nicht in ganz Europa, und manchmal muss man (teils begrenzt verfügbare) Reservierungen dazukaufen. Aber dazu ein anderes mal. Jetzt ist es Zeit den nächsten Zug zu boarden.

Olmütz

Folgt man der March von der Ruine Devín flussaufwärts, dann kommt man irgendwann im tschechischen Olmütz (Olomouc) an.

Vom Turm der Kostel sv. Mořice, einer gotischen Kirche aus dem 13. Jahrhundert, kann man Olomouc von oben betrachten. Seine beiden Hauptplätze werden von hübschen Geschäfts- und Wohnhäusern begrenzt, eine Pestsäule (derzeit schüchtern hinter einer Bauabdeckung versteckt) ragt in den Himmel, der Autoverkehr in der Innenstadt ist eingeschränkt, und die Leute werden von Straßenbahnen, die aussehen als wären sie aus dem letzten Jahrhundert, durch die Stadt kutschiert. Es ist fast kitschig-romantisch hier. Am Hauptplatz entdecke ich zum ersten Mal eine astronomische Uhr. Sie ist mehrere hundert Jahre alt, wurde aber von deutschen Soldaten am Rückzug in den letzten Tagen des 2. Weltkrieges zerstört. Wiederaufgebaut wurde sie im sozialistischen Stil, und sie zeigt neben dem Wochentag auch die Stunde, die Minute, das aktuelle Sternzeichen, das aktuelle Jahr und auch die heutigen Namenstage sowie die Geburtstage wichtiger Kommunisten an.

An die Innenstadt schmiegt sich ein Park, der dazu einlädt die Laufschuhe auszupacken und ein paar schnelle Runden zu drehen. Wie auch in Bratislava fällt mir hier auf, dass sich die Läufer:innen grüßen.

Dresden

Gerne wäre ich länger in Olmütz geblieben, aber wie die Spitze einer Kompassnadel zieht es auch mich weiter in den Norden. Mit der tschechischen Bahn geht es über Prag nach Dresden. Bei meinem Zwischenhalt in Pardubice fährt am Nachbargleis der Railjet nach Graz ein. Am 5. Tag meiner Reise habe ich mich eigentlich schon weiter als eine Direktverbindung von Zuhause entfernt gefühlt. Mein Zug gleitet durch die grüne, tschechische Landschaft, und bald entlang der Elbe durch die Sächsische Schweiz.

Bei meiner Ankunft in Dresden-Neustadt fühle ich mich direkt wie in Berlin. Es wimmelt von Radfahrern, an jeder Ecke gibts einen Späti, und junge Leute tummeln sich mit Bier und Fritz Kola in den Straßen. Aber nicht nur in den Straßen verweilt man gerne: die breiten Auen entlang der Elbe sind ein beliebter Picknick-Spot mit Premium-Altstadt-Blick. Hätte ich es gewusst, hätte ich den Blick auf die Carolabrücke ganz besonders genossen, denn keine Woche später stürzt sie teilweise in die Elbe. Ich würde hier jetzt sehr gerne ein Foto von ihr zeigen, mit dem Untertitel “Die Carolabrücke wenige Tage vor ihrem dramatischen Einsturz“, aber leider gibt es das Foto nicht: bis zu ihrem Einsturz war das nämlich eine sehr unspektakuläre, geradewegs langweilige Brücke, die man nur fotografiert, wenn man keine andere Wahl hat. Ich hatte eine Wahl.

Bei einer Stadtführung unter der glühenden sächsischen Sonne zeigt uns Guide Malte seine Stadt. “Das echte Dresden”, meint er, “ist eigentlich Neustadt.” Die Altstadt, die nach dem Krieg zwar großteils wieder schön aufgebaut wurde, ist nämlich vorwiegend für die Touristen da. Es gibt hier kaum Wohnungen für Einheimische, kaum Lokale für Einheimische, kaum Einkaufsmöglichkeiten für Einheimische, daher gibt es auch keinen Grund für Einheimische (um die Serie der Wortwiederholungen zu beenden) hierher zu kommen, erklärt er uns das Konzept der Touristifizierung. Abseits der Hochsaison ist es in der Dresdner Altstadt gespenstisch leer. Malte zeigt uns seinen Lieblingsort in Dresden: den Innenhof des Residenzschlosses. Die Fassade wirkt auf den ersten Blick bemalt, aber wenn man das Ganze aus der Nähe betrachtet, sieht man, dass es sich tatsächlich um aufwändig hergestellte Fresken handelt.

“Wenn schon Osten, dann richtig!” denke ich mir, als ich das Ziel für meinen nächsten Tagesausflug auswähle: Görlitz – eine Stadt so schön, dass sogar Hollywood nicht die Finger davon lassen kann, und noch dazu die östlichste Deutschlands. Was ich dort erlebt habe, und wohin mich die DB danach gebracht hat, das verrate ich im nächsten Teil. Spoiler: Wespen gab es auch in Görlitz noch.

By Markus

A photo enthusiast since he can remember, Markus loves travelling and taking photos with his Lomo Fisheye camera. When he hasn't got his finger on the trigger of a camera he is a software developer.

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