Was man alles erleben kann, wenn man nachts durchs Amtshaus wandelt…

Ende Februar 2025 lädt die Bezirksvorstehung Ottakring zu einer ganz besonderen Veranstaltung ein. Bei „Nachts im Amtshaus“ erwacht das Haus am Richard-Wagner-Platz 19 zur abendlichen Stunde zum Leben und gewährt Einblicke in sein buntes Treiben. Und gleich vorweg, alle interessierten Gäste dürfen herein und werden auch wieder hinausgelassen!


Stefanie Lamp ist mit ihren 36 Jahren die jüngste Bezirksvorsteherin von Wien und bringt jugendlichen Schwung und Dynamik in die alten Mauern. Sie führt die Besucherschaft persönlich von Abteilung zu Abteilung und jedes Ressort hat die Gelegenheit, sich und seinen Tätigkeitsbereich kurz vorzustellen.
Natürlich bin ich fix davon ausgegangen, dass ein lebendig gewordenes Wachsmodell von Michael Häupl mir am Eingang ein Glas Spritzwein reichen würde und ich für ein agiles Skelett eines Amtsschimmels Stöckchen werden könnte. Nun, nichts davon geschieht. Stattdessen treffe ich unerwartet Paul am liebevoll hergerichteten Buffet mit einem 16er Blech (aber in der Flasche). Als ein in Ottakring lebender irischer EU-Bürger hat er eine persönliche Einladung für heute Abend bekommen, während ich aus dem Newsletter der Bezirksvorstehung von dem Event erfahren habe.


Hollywood lässt dann aber doch noch grüßen, denn beim Eintreten ins Standesamt ertönt der klassische Hochzeitsmarsch von Felix Mendelsohn-Bartholdy wie in einer kitschigen Seifenoper. Der Standesbeamte hat sich für uns in seine schicke Festtagsbekleidung geworfen und plaudert aus seinem Nähkästchen: es hat in Ottakring noch niemand mit „Nein“ auf die berühmt-berüchtigte Frage geantwortet. Auch war noch nie jemand zu betrunken um nicht mehr zu wissen, was er, sie oder es tat. Das wäre nämlich ein amtlicher Grund für die Verweigerung der Verehelichung.


Wir werden durch Gänge und über Treppen geführt. Die Orientierung haben wir in diesem großen Gebäude längst verloren. Immerhin gibt es Licht und wir müssen uns nicht mit Taschenlampen abmühen. Wir schreiten an mehr oder weniger belebten Schreibtischen vorbei – die Damen sitzen hier scheinbar noch bei der Arbeit, aber man sieht es ihnen ein bisserl an, dass sie offensichtlich veranlasst wurden, heute länger zu bleiben, damit es hier nicht ganz so leer aussieht. Statt einem Handbuch mit Regeln zum nächtlichen Überleben im Amtshaus, überreicht man uns eine Broschüre mit den Zahlen von Ottakring – die liest sich aber auch recht spannend!
Als nächstes steht das Magistrat für Einwanderung und Einbürgerung am Programm. Die freundlichen Beamtinnen mögen den Kontakt mit den unterschiedlichen Kulturen. Stets müssen sie up-to-date sein, da sich Gesetze und politische Situationen bei uns und in den Herkunftsländern rasch ändern können und dies direkte Auswirkungen auf ihre Arbeit hat.
Wieder geht es über Gänge und Treppen. Der Putz bröckelt von der Mauer, sichtbare Leitungen verlaufen an den Wänden und es riecht ein wenig feucht. Wir sind im Keller angekommen, wo es im Wahlreferat in diesen Tagen hoch hergeht. Die vorgezogene Gemeinderatswahl im April benötigt sorgfältige Vorbereitung. Am baldigen Wahlsonntag sorgen etwa 50 Mitarbeiter*innen für eine reibungslose Abwicklung. Wir verlassen diese Hochburg der Demokratie in den Niederungen des Hauses und biegen um viele Ecken im verwinkelten Keller.

Einen Stock höher landen wir im Melde- und Passamt, wo auch Verwaltungsstrafen und Meldestrafen bearbeitet werden. Hier wiehert jetzt der Amtsschimmel ganz gehörig, aber besonders tagsüber, weniger in der Nacht. Der leidgeprüfte Beamte erzählt von den nervenaufreibenden Versuchen, falsch gemeldete Personen nachzuverfolgen. Kurzweilig sind seine Schilderungen. Nichtsdestotrotz schweife ich ab und meine, hinter mir das Klappern einer ganzen Division von Stempeln zu hören, die wild durch den Raum jagt. Und was ist das? Ist eine Armada aus A5-Meldezetteln aus dem Archiv ausgebrochen?
Es scheint die Fantasie mit mir durchzugehen. Höchste Zeit sich mit den Fakten der Geschichte zu beschäftigen. Im Ottakringer Bezirksmuseum empfängt uns der Museumschef Herr Müller. Er bedauert sichtlich die wenige Zeit, die ihm mit den Gästen zur Verfügung steht, denn so vieles gäbe es zu entdecken in seinem kleinen Reich im hinteren Teil des Amtshauses. Während er den Namensursprung von Ottakring erklärt, betrachte ich das Modell einer Pferdetramway, das ganz sittsam auf seinem Platz steht. Beim Hinausgehen werfe ich noch einen Blick in die „Harmonikamacherei“, aber auch hier liegen die Werkzeuge ruhig und kein Schabernack ist in Gange.

Unverhofft kommt oft. Auch die Bestattung Wien nutzt ein paar Räume im Amtshaus. Und so stehen wir alsbald vor einer Vitrine mit verschiedenen Urnen. Urnenbestattungen sind beliebt wie nie zuvor, aber auch Erdbestattungen finden noch regelmäßig statt. Mit dem nötigen Kleingeld kann man seine Asche auch zu einem Diamanten pressen lassen, was aber in Döbling wohl beliebter ist als in Ottakring. In einem winzigen Raum lehnen ein paar Särge an der Wand. Zum Probeliegen muss man aber ins Bestattungsmuseum am Zentralfriedhof fahren.


Abschließend werfen wir noch einen Blick in das geräumige Büro von Stefanie Lamp im ersten Stock, doch es bleibt keine Zeit mehr für eine genauere Betrachtung des zeitgenössischen, Ottakringer Kunstwerks hinter ihrem Schreibtisch.
Zum Abschied gibt es eine Manner-Schnitte aus dem benachbarten Hernals. Immerhin sie erwacht in meinem Körper wirklich zum Leben – ihre Bestandteile versorgen meine Zellen mit Nährstoffen, machen mein Gehirn munter und meine Seele glücklich. Ottakring… mag man eben. Sag ich ja schon immer!
