2x 20. Jahrhundert an einem Sonntagnachmittag. Führungen in der Französischen Botschaft Wien und im Margarete Schütte-Lihotzky Zentrum am Tag des Denkmals.

Frankreich am Schwarzenbergplatz
Wir ergattern heuer tatsächlich zwei der begehrten Führungsplätze am Tag des Denkmals (28.9.2025) durch die Französische Botschaft in Wien. Die unspektakuläre Adresse lautet „Technikergasse 2“, doch wer schon einmal am Schwarzenbergplatz war, dem ist mit Sicherheit der elegante Prachtbau am östlichen Teil des Platzes aufgefallen. 1901 erfolgte die Auftragserteilung an den französischen Architekten Georges-Paul Chedanne und nur 5 Jahre später wurde das Gebäude im französischen Jugendstil, dem Art Nouveau, eröffnet. Mit einem gewissen Nachdruck wird betont, dass es KEINE Verwechslung der Baupläne mit der Botschaft in Istanbul gegeben hat. Diesbezüglich gibt es offenbar Gerüchte…



Österreich in Frankreich?
Die Inneneinrichtungen stammen hauptsächlich von renommierten französischen Künstlern, vereinzelt haben aber auch österreichische Unternehmen mitarbeiten dürfen. In der Deckenmalerei der Haupttreppe wird das Gemeinsame zwischen Österreich und Frankreich beschworen. Auch hat sich ein Portrait von Maria Theresia in einen Repräsentationsraum verirrt. Ansonsten befindet man sich hier ganz und gar auf französischem Territorium.



Verzierung und Kahlheit
Die Gäste betreten das Gebäude über die Rotunde. Die Wienerberger Ziegel sind gut versteckt hinter gemalter Kalksteinoptik, was dem Raum im wahrsten Sinne des Wortes einen noblen „Anstrich“ verleiht. Besonders stolz ist man auf die Elektrifizierung seit Beginn des Hauses. Die Lampen sind allesamt so gestaltet, dass die Glühbirnen besonders gut zur Geltung kommen – mit einer Ausnahme: in der Rotunde verstecken sich die Leuchtmittel hinter Glas in Form von geschliffenen Schildkrötenpanzern, die hübsch anzuschauen sind. Auch der Lift ist sehenswert mit seiner samtenen Sitzbank und der Mahagoni-Vertäfelung. Wer lieber zu Fuß geht, nimmt die gewundene Haupttreppe in die oberen Etagen. Sie ziert ein besonders kunstvolles Geländer mit Ornamenten, die an den Eiffelturm erinnern sollen. Die Räume sind unterschiedlich ausgestattet. Mal mit dunkler Holzvertäfelung, mal mit üppigem Stuck, mal mit edler Malerei. Nach den Kriegen kam die Schlichtheit in Mode und der Stuck wurde teilweise entfernt, was man heute sehr bedauert. Im zweiten Stock aber blieb vieles unverändert. Hier kann man die Original-Wandornamente, sowie vier riesige Gobelins aus dem 17. Jahrhundert bewundern. Letztere stammen aus der traditionsreichen Gobelin-Manufaktur in Paris, und zwar aus deren Anfangsjahren, und für eine der Tapisserien erteilte angeblich Louis XIV. höchstpersönlich den Auftrag für die Fertigung. Na dann… Nach über 60 Minuten französischem Chic werden wir mit einem zurückhaltenden „Au revoir“ in den Sonntagnachmittag entlassen. Merci.


Die Oma kumt glei
Wieder in Österreich angekommen, brauchen wir nun Bodenständigkeit. Die bekommt man in der „Vollpension“ in Wieden (4. Bezirk), wo Omas voller warmer Herzlichkeit Kuchen backen und Platz anweisen und Junge mit flotten Sprüchen Bestellungen aufnehmen und die Rechnungen bringen – „Arbeitsteilung mit Generationenvertrag“ nennt man das hier. Nach der Stärkung sind wir bereit für unseren nächsten Programmpunkt am Tag des Denkmals.


Eine Pionierin der Architektur
Es geht in die Franzensgasse 16 in Margareten (5. Bezirk). In diesem Wohnhaus, im 6. Stock, verbrachte die Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000) die letzten 30 Jahre ihres langen Lebens. Sie gilt als Erfinderin der modernen Einbauküche (1926), die sogenannte „Frankfurter Küche“, und ihre Planungen hatten die Funktionalität im Fokus, aber stets angepasst an die Lebenssituation der Bewohner*innen. Und das in einer Zeit, als sich noch niemand über derartiges Gedanken machte!



Eine Raumgestaltung, die zeitsparende Abläufe erlaubt
So entwarf sie beispielsweise eine Wohnung für die alleinstehende, berufstätige Frau. Ihre Entwürfe sahen eine platzsparende und im Alltag praktische Ausstattung vor. Jedes Element war durchdacht. So gestaltete sie auch ihre letzte Wohnung, die heute denkmalgeschützt ist und das Margarete Schütte-Lihotzky Zentrum beherbergt. Die 55 m² sind sinnvoll genutzt, kein Platz wird verschwendet. In den letzten Jahren wurde die Wohnung restauriert, einschließlich einer Rekonstruktion der ursprünglichen Küche. Einige der Möbel sind noch im Originalzustand erhalten, andere wurden nachgebaut. Den kirgisischen Wandteppich im Schlafbereich hat sie seinerzeit von ihrem Aufenthalt in Russland mitgebracht. Der Schrankraum war Kleiderschrank und Archiv zugleich.



Leben und Überleben
Schütte-Lihotzky hatte ein bewegtes Leben mit vielen Auslandsaufenthalten. Schon in jungen Jahren erkrankte sie an Tuberkulose, was mehrere Sanatoriumsaufenthalte nach sich zog. 1940 schloss sie sich einer Widerstandsgruppe an, wurde jedoch schon bald von der Gestapo verhaftet. Aus der drohenden Todesstrafe wurde ein mehrjähriger Zuchthausaufenthalt. Als überzeugte Kommunistin hatte sie später Probleme Aufträge zu bekommen. All dieser Widrigkeiten zum Trotz erreichte sie ein sehr hohes Alter, was unsere heutige Vermittlerin uns so erklärte: „Sie hat früh gelernt, ihre Kraft gut einzuteilen“. 103 Jahre – voller Kampfgeist und Gestaltungswillen.


